Was früher bis zu vier Jahre dauern konnte, soll nun zum Wohle der Patienten beschleunigt werden. Mit zwei Gesetzen will das Gesundheitsministerium unter Jens Spahn (CDU) die nötigen Voraussetzungen schaffen, elektronische Patientendaten künftig schneller für verschiedene Bereiche der wissenschaftlichen und der Gesundheitsforschung zugänglich zu machen. Mit diesem Schritt reiht sich Deutschland ein in die Gruppe von Ländern, in denen diese Prozeduren bereits länger gesetzlich möglich sind und praktisch genutzt werden. Wie Datenschutz, Patientensouveränität und der Nutzen für verschiedene Akteure im Gesundheitswesen in Bezug auf die Zweitnutzung von elektronischen Patientendaten gewährleistet werden, zeigt der vierte und letzte Sonderbericht von empirica im Auftrag der Bertelsmann Stiftung.
Basierend auf den Ergebnissen der Studie #SmartHealthSystems beleuchtet der Sonderbericht wie andere Länder Patientendaten zweitverwerten und welche Argumentationsketten die Diskussionen rund um das Thema prägen. Von europäischer Seite aus stand Österreich lange in der Kritik, die Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zu lasch umgesetzt zu haben und ihr dadurch teilweise sogar zu wiedersprechen. Patienten hätten keine Möglichkeit der Datenverarbeitung zu Forschungszwecken zu widersprechen oder überhaupt über die Verarbeitung informiert zu werden. Im allgemeinen ist man sich in Österreich unsicher, inwieweit das novellierte nationale Recht auch umgesetzt werden kann, denn: Bei Widerspruch zwischen nationalem und europäischem Recht hat die DSGVO Vorrang vor nationalem Recht. Es bleibt abzuwarten, ob die Bürgerinnen und Bürger langfristig Gebrauch machen von ihrer Möglichkeit, aus der Elektronischen Gesundheitsakte ELGA auszusteigen.
In Großbritannien existiert das Zentrum Clinical Practice Research Datalink (CPRD) schon 30 Jahre, doch die Sammlung von anonymisierten Gesundheitsdaten für Forschungszwecke begann schon in den 1980er Jahren. Das heute bei der nationalen Arzneimittelbehörde und dem „National Institute for Health Research” angesiedelte Zentrum verfügt über einen Datenbestand von 35 Millionen Patientenleben, der für die internationale Forschergemeinschaft und für Regulierungsbehörden zugänglich ist. CPRD-Daten und -Dienstleistungen wurden bislang in über 2.300 von Experten in Peer-Review-Verfahren begutachteten Publikationen verwendet, die sich beispielsweise mit der Arzneimittelsicherheit befassen, der Wirksamkeit der Gesundheitspolitik oder den Risikofaktoren für Krankheiten. Das CPRD ist ein positives Beispiel für den sinnvollen und verantwortungsvollen Umgang mit sensiblen Patientendaten. Komplexe Gesetzgebung kann jedoch auch Unsicherheit und Wiederstand erzeugen. Es bleibt auch eine ethische Frage: wenn verknüpfte Patientendaten Nutzen stiften, ist es nicht dann eine moralische Pflicht diese Verknüpfung sicher und verlässlich zu gewährleisten?
Der kürzlich veröffentlichte Bericht “Sekundärnutzung von Daten in elektronischen Patientenakten” ist der letzte in einer Reihe von Sonderberichten, die empirica für die Bertelsmann Stiftung verfasst hat und die von der Stiftung herausgegeben wurden. Die Sonderberichte greifen Teilbereiche der größeren internationalen Benchmarking-Studie #SmartHealthSystems auf und konkretisieren die Ergebnisse auf einen bestimmten Aspekt. Die vorangegangenen Sonderberichte befassen sich mit den Themen E-Rezept, semantischen Standards und Telemedizin.